Wenn der Bus nicht kommt
Erika Bäumler (Name von der Redaktion geändert) hat sich ihre Schuhe und eine Jacke angezogen, ein Tuch um den Hals gelegt und eine Tasche mit dem Nötigsten gepackt. Jetzt sitzt sie auf der Bank unter dem bekannten weißen Schild mit dem grünen H auf einem gelben Kreis und wartet darauf, dass sie nach Hause fahren kann. Nur, dass an dieser Bushaltestelle nie ein Bus ankommen wird. Erika Bäumler ist dement. Sie ist eine von zwölf Bewohner*innen der Wohngruppe (WG) Sonnenhof, einer von vier Wohngruppen, die das Deutsche Rote Kreuz (DRK) im Kreis Herford betreibt.
„Demenzkranke Menschen können einen starken Drang zum Wegzulaufen entwickeln“, erklärt Jennifer Kelle. Die Pflegedienstleiterin erhofft sich von der Scheinbushaltestelle, dass sich die Bewohner*innen seltener wegstehlen. Viele haben durch ihr früheres Leben eine Verbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln. „Sie sind mit dem Bus zur Arbeit, in die Stadt oder nach Hause gefahren.“ Das Krankheitsbild bringe psychische Veränderungen mit sich. „Wir möchten unsere Bewohner*innen dort abholen, wo sie stehen und entwickeln dazu im Team immer wieder kreative Lösungen“, sagt Kelle. „Mit der Scheinbushaltestelle haben wir eine Möglichkeit, sie in die Realität zurückzuführen, ohne direkt auf die Krankheit abzuzielen.“
Die Idee, eine Bushaltestelle im Garten der Demenz-Wohngruppen zu errichten, entstand im Rahmen einer Teamsitzung. In Kooperation mit dem Bielefelder Nahverkehrsunternehmen moBiel wurden innerhalb von nur zwei Wochen in den drei DRK Demenz-Wohngruppen im Kreis Herford an der Elverdisser Straße und an der Ballerstraße in Herford sowie an der Südlenger Straße in Bünde Haltestellen-Schilder errichtet. „Demenz geht uns alle an, denn die Krankheit kann jede*n treffen“, sagt moBiel-Betriebsleiter Dirk Oberschmidt. „Für uns ist es ein gutes Gefühl, wenn wir schnell und unbürokratisch helfen können, für die Betroffenen eine vertraute Umgebung und gewohnte Alltagssituationen zu schaffen, die sie beruhigen.“
Verlässt eine*e Bewohner*in die Wohngruppe durch die Eingangstür, ertönt ein Piepton, der die Betreuer*innen darauf aufmerksam macht. „Wir versuchen dann, den dementen Menschen mit guten Worten von seinem Ausflug abzubringen“, erklärt Kelle. Jetzt erleichtert die Scheinbushaltestelle den Mitarbeitenden ihre Arbeit enorm. „Die Bewohner*innen haben hier einen Ort, da kommt jemand, auch wenn es kein Bus ist“, sagt Kelle. „Sitzen sie zu lange an der Haltestelle, werden sie von unseren Betreuer*innen abgeholt, aufgefangen und hereingebeten. Wir erklären ihnen dann, dass heute wohl kein Bus mehr kommt.“ Informationen zu den Wohngruppen des DRK im Kreis Herford gibt es bei Jennifer Kelle und Dana- Sophie Trope telefonisch unter 05221 - 2750120, per E-Mail an pflege.herford(at)drk-sozial.de und unter www.drk-bielefeld.de .