Junger Afghane wird Pflegefachmann beim DRK
Ikramullah Rahimi hat keine Eltern mehr, als er mit 14 vor dem Krieg aus seiner Heimat flieht. Auf der Flucht mit dem Boot über das Mittelmeer retten er und seine Freunde sich schwimmend an Land. Dabei orientieren sie sich am Zeichen des Roten Kreuzes – ein Schlüsselerlebnis. Im November beendet der 22-Jährige seine Ausbildung zum Pflegefachmann beim DRK in Bielefeld.
Die Lebensgeschichte von Iki, wie ihn seine Kolleg*innen liebevoll nennen, ist geprägt von Herausforderungen und Entschlossenheit, von Verlusten und neuen Chancen. Seine Mutter stirbt an Krebs, als er 13 Jahre alt ist, kaum ein Jahr später wird sein Vater, der politisch aktiv ist, umgebracht. Geschwister hat er keine, lebt seit dem Tod seiner Eltern bei Tante und Onkel. Immer wieder sprechen seine Freunde davon, das Land zu verlassen und nach Europa zu fliehen. „Ich wollte keinen Krieg mehr und mir war es egal wohin. Hauptsache nach Europa“, erzählt Iki.
Auf einmal geht alles ganz schnell. Den Schmuck seiner Mutter, zwei Bücher und ein paar Hosen habe er eingepackt. Um die Schleuser zu bezahlen, vermacht er ihnen sein Elternhaus. Abends geht es mit dem Auto nach Kabul, dann weiter Richtung Pakistan. Zu Fuß durch die Berge Richtung Iran bis in die Türkei. Mit mehr als 30 Menschen versuchen sie die Flucht über das Mittelmeer nach Griechenland. Alle ertrinken – bis auf Iki und seine sechs Freunde. Sie schwimmen immer weiter Richtung Strand, wo sie von DRK-Helfer*innen mit warmen Decken, Essen und heißen Getränken in Empfang genommen werden. „Das Rote Kreuz war mit einem großen Aufgebot am Strand“, erzählt Iki. „Als wir das Rotkreuz-Zeichen gesehen haben, sind wir darauf zu geschwommen. Wir wussten: Da wird uns geholfen.“
Sie werden von der griechischen Polizei aufgegriffen, schaffen aber die Flucht über Bulgarien, Serbien, Kroatien und Österreich, bis sie schließlich nach insgesamt 41 Tagen in einem Flüchtlingslager in München ankommen. Ein ungutes Bauchgefühl lässt sie noch in derselben Nacht in den nächstbesten Zug steigen. Mehrfach seien sie umgestiegen, ohne konkretes Ziel. „In Bielefeld hatten wir das Gefühl: Wir sind angekommen.“ Als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling kommt Iki ins Clearinghaus und besucht die internationale Klasse des Ceciliengymnasiums. Er sei sehr unglücklich gewesen, als er in eine Einrichtung nach Eschweiler verlegt werden sollte – und hat riesiges Glück, als ihn die Eltern seiner Englischlehrerin aufnehmen.
Sie sind es auch, die ihm helfen das Trauma zu verarbeiten und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Hier habe ich auch meine Sprachkenntnisse verbessert, da wir zu Hause nur Deutsch gesprochen haben“, erzählt Iki in fließendem Deutsch. Mit der mittleren Reife in der Tasche will er eine Ausbildung beginnen, bekommt aber nur Absagen. „Ganz spontan bin ich nach meinem Nachhilfeunterricht in Mathe einfach ins Büro des DRK-Pflegedienstes gegangen und habe nach einem Ausbildungsplatz gefragt.“ Darüber, dass das geklappt hat, sind nicht nur Iki und die Bewohner*innen der DRK-Wohngruppen für Menschen mit Demenz glücklich. Auch seine Kolleg*innen sind stolz auf ihn und seine außergewöhnliche Geschichte. „Sein Engagement und seine Entschlossenheit sind inspirierend“, sagt Martina Schmale-Gökkaya, DRK Pflegefachkraft. „Er ist ein wertvolles Mitglied unseres Teams geworden und zeigt uns täglich, wie wichtig Mitgefühl und Hilfsbereitschaft in unserer Arbeit sind.“
Im November beendet Iki seine Ausbildung zum Pflegefachmann und wird danach weiter beim DRK in der ambulanten Pflege arbeiten. Irgendwann möchte er Pflegewissenschaften studieren. „Ich habe sehr früh meine Heimat verloren, aber in Bielefeld eine neue Heimat gefunden“, sagt er. Seine Eltern seien immer in seinem Herzen. „Sie haben sich immer um andere gekümmert, heute bekomme ich das zurück, das spüre ich genau“, sagt Iki.